Kritik der Veranstaltung -- Veranstaltung der Kritik
Grrrrrrrr! Wie ich dieses Wortspiel (oder sollte ich sagen: Spiel der Worte -- Worte des Spiels?) hasse! "Macht der Diskurse -- Diskurse der Macht", "Rassismus der Mitte -- mitten im Rassismus", und heute nun "Angst des Terrors -- Terror der Angst".
Aber keine Sorge, mein Urteil über die Qualität des Veranstaltungstitel korreliert nicht mit demjenigen zu ihr selbst. Eher im Gegenteil. Warum ich mich überhaupt an einem Sonntag um zwölf Uhr auf den Weg in den tiefen Westen Berlins gemacht habe, war eine kleine Notiz in der Berliner Zeitung. Dort war eine Diskussionsveranstaltung unter dem Titel "Terror und Angst" (wahrscheinlich war der BerlZ der eigentliche Titel zu peinlich) mit Carolin Emcke und Philipp Sarasin angekündigt, und da ich bekennender Fan von Sarasin und seiner Foucauldianischen Herangehensweise an Geschichte bin, wollte ich mir die Gelegenheit, ihn einmal live zu sehen, nicht entgehen lassen. Frau M sowie C aus der Europäischen Ethnologische hatten eigentlich auch Interesse bekundet, ließen sich aber wohl vom ungünstigen Termin abschrecken.
Die Ankündigung in der Zeitung trug nicht nur den falschen Titel, sie unterschlug auch den zweiten Mann auf dem Podium (Carolin Emcke, Kriegsreporterin und Redakteurin beim Spiegel, trat als Gastgeberin bzw. Moderatorin auf): der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP).
Sarasin machte nach einigen einleitenden Bemerkungen von Carolin Emcke den Anfang mit einem kurzen Filmausschnitt aus einer "BBC exklusiv"-Reportage, in der das Eindringen von Viren in den Körper und die Reaktion des Immunsystems darauf als Shoot-em-up-Videospiel dargestellt wurde. Darauf aufbauend stellte er die Thesen aus seinem letzten Buch, Anthrax. Bioterror als Phantasma, vor. Ich habe das Buch leider nicht gelesen, aber im Wesentlichen ging es um eine Lacan'sche und vermutlich teilweise Foucauldianische Betrachtung des Phänomens Bioterror. Die Hypothese ist, dass Anthrax als ursprünglich "dummer, leerer Signifikant" durch Kollektivvorstellungen von der Stadt als Körper sich hervorragend zur Verbreitung von Angst eignet. Darauf aufbauend verfolgt er weiterhin, wie durch die Koppelung von Immigration und Seuchengefahr eine komplexe Mischung von Phantasmen und Realem produziert wird, an deren Ende Epidemiologie und Seuchenkontrolle mit Politik konvergieren. Sarasin stützt sich hierbei auf seine Sammlung von empirischen Material, z. B. einer Anzeige, in der Mischwesen aus Spritze und Bombe (leider konnte ich die Grafik im Internet nicht finden) eine klare Verbindung zwischen der Impfung gegen Anthrax und dem Krieg gegen den Terror herstellen.
Gerhart Baum ging auf Sarasins Thesen nicht weiter ein und redetete stattdessen allgemein über Terror (nicht zuletzte aus seiner Erfahrung des RAF-Terrors als Innenminister), Kriminalität und die Einschränkung von bürgerlichen Freiheiten. Diese Ausführungen waren höchst erfreulich und wenn sich Baums Position in der FDP durchsetzte, wäre sie eine nicht unattraktive Partei. Was mir vor allem positiv auffiel, dass Baum seine Kritik primär auf die deutschen Verhältnisse richtete und keine "hier alles alt-europäisch gut, in den USA alles Diktatur"-Position bezog.
Carolin Emckes Einlassungen zum Thema gingen teilweise in diese Richtung und so sah ich mich bemüßigt, Sarasin noch zu einer Einlassung zum Thema Instrumentalisierung und Intentionalität zu veranlassen. Seiner Foucauldianischen Position konsequent folgend unterstrich er, dass er -- in der Diskussion um sein Buch war ihm dies wohl öfter vorgeworfen worden -- keine Verschwörungstheorie vertrete. Es gebe keine dunkle Macht hinter dem Lauf der Geschichte, sondern nur lokale Intentionalitäten. Allerdings schränkte er diese These im konkreten Fall des Anthrax-Terrors wieder ein und meinte, dass in diesem Falle offensichtlich einiges "nicht ganz koscher" sei.
Ich würde sagen, der Ausflug an die Schaubühne hat sich gelohnt, wenngleich ich die Form der Podiumsdiskussion als eher unangenehm erlebt habe und die Besetzung mit Sarasin und Baum insofern etwas unglücklich war, als dass kein tiefer gehender Dialog im eigentlichen Sinne zustande kam. Manche Thesen Sarasins hätte ich gerne eingehender diskutiert, vielleicht ergibt sich eine solche Gelegenheit irgendwann einmal. Besonders spannend finde ich hierbei seine Verknüpfung von Lacan und Foucault. Was in Reizbare Maschinen noch etwas überflüssig erschien, ergibt in der Untersuchung von Phantasmen wie dem Bioterror Sinn und zeigt die Grenzen der Analysefähigkeit in Foucaults Kategorien auf. (Notiz an mich: irgendetwas zu Lacan machen)
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