Darstellen und Eingreifen
Nachdem meine Postingaktivitaet in letzter Zeit -- ganz gemäß meinem Lebensfokus -- sich auf die Odyssee beschränkt hat, will ich mir nun wieder Zeit nehmen, hier ein etwas umfangreicheres Update zu veröffentlichen. Grund ist, dass ich endlich dazu gekommen bin, Ian Hackings Einfuehrung in die Philosophie der Naturwissenschaften zu Ende zu lesen. Um es gleich vorwegzunehmen: Unbedingt lesen! Alle, die irgendetwas mit Naturwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte oder Philosophie am Hut haben, können von diesem Buch nur profitieren.
Die Entscheidung, mir das Buch zu kaufen, hatte ich nach einem begeisternden Vortrag von Hacking im Rahmen der Abschlusskonferenz des virtuellen Labors am MPI für Wissenschaftsgeschichte getroffen. Der Titel des Buches mag für jemanden, die oder der sich schon eingehender mit Wissenschaftsphilosophie beschäftigt hat, vielleicht auf den ersten Blick etwas abschreckend wirken -- auch ich hatte die Befuerchtung, mich bei einer "Einführung" deshäufigeren zu langweilen, doch davon kann gar keine Rede sein! Hacking selbst schreibt treffend:
Für Hacking untrennbar verknüpft mit der Frage der Wissenschaftstheorie sind Fragen der wissenschaftlichen Praxis, also des Eingreifens. Hacking konzentriert sich bei seiner Darstellung in zweiten Teil auf einige paradigmatische Probleme wie die des "Sehens", des Messens oder der Beobachtung und behandelt diese anhand genauer historiografischer Darstellung. Immer wieder gelingt es ihm hierbei, "die großen Männer" der Wissenschaftsforschung historischer Fehler zu überführen; dadurch werden zugleich verzerrte Darstellungen wissenschaftlicher Tätigkeit und unhaltbare theoretische Postulate über Wissenschaft überzeugend kritisiert.
Während des ganzen Textes vertritt Hacking klar und durch Argumente gestützte seine eigene Form des wissenschaftlichen Realismus, die er in folgendem Satz konzentriert: "Was mich betrifft, gilt: Wenn man sie versprühen kann, sind sie real." (47)
Die deutsche Übersetzung ist weitestgehend als gelungen zu bezeichnen. Über die Frage, ob man "representing" mit "darstellen" angemessen wiedergibt, ließe sich sicher vortreffllich streiten, ansonsten gibt es jedoch kaum Grund zur Kritik. Auch das Lektorat und der Satz sind lobend hervorzuheben, vor allem angesichts des unschlagbaren Reclam-Preises von 9,60 Euro.
Nach all diesem Lob noch ein paar kleine Kritikpunkte: Jenseits der sprachlichen Brillianz des Textes, drängte sich mir an vielen Stellen der Wunsch nach Abbildungen auf. Nicht, dass man die Modelle, Beispiele etc. nicht auch ohne Visualisierung verstehen könnte, aber gerade in einem Einführungsbuch wäre es eine schöne Erweiterung gewesen. Eine wertvolle Zugabe, die Hacking liefert, ist die schoene, kommentierte Bibliografie am Ende des Bandes. Diese ist kapitelbezogen sortiert und ziemlich knapp gehalten , was ich eher fuer einen Vorteil halte. An dieser Stelle noch ein Hinweis für alle Latourianer: Wer auf einen Verweis Hackings auf Bruno Latour und die Actor-Network Theory wartet, muss sich sehr lange gedulden: Erst auf der letzten Seite der Bibliografie findet sich ein Hinweis auf dessen Arbeiten, allerdings ohne Erklärung, warum dieser im restlichen Buch unter den Tisch gefallen ist.
Ian Hacking. Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Stuttgart: Reclam, 1996. 477 Seiten, 9,60 Euro.
(Originalausgabe: Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Natural Science. Cambridge: Cambridge University Press, 1983.)
Die Entscheidung, mir das Buch zu kaufen, hatte ich nach einem begeisternden Vortrag von Hacking im Rahmen der Abschlusskonferenz des virtuellen Labors am MPI für Wissenschaftsgeschichte getroffen. Der Titel des Buches mag für jemanden, die oder der sich schon eingehender mit Wissenschaftsphilosophie beschäftigt hat, vielleicht auf den ersten Blick etwas abschreckend wirken -- auch ich hatte die Befuerchtung, mich bei einer "Einführung" deshäufigeren zu langweilen, doch davon kann gar keine Rede sein! Hacking selbst schreibt treffend:
Mit "einführend" ist hier allerdings nicht "vereinfacht" gemeint. Einführende Themen sollten klar genug und wictig genug sein, um denjenigen, für den sie neu sind, zu fesseln. Außerdem sollten sie widerborstig genug sein, um bei den Lesern, die seit Jahren über diese Gegenstände nachgedacht haben, noch manchen Funken zu entzünden. (9)Inhaltlich gliedert sich das Buch in zwei Teile, die für Hacking die beiden Tätigkeitsbereich von WissenschaftlerInnen sind: "Darstellen" und "Eingreifen". Der erste Teil gibt dabei einen umfassenden Überblick über die grundlegenden Probleme und Lösungsvorschläge in der Wissenschaftstheorie mit einem Fokus auf der zentralen Frage des Realismus und seiner KritikerInnen.
Für Hacking untrennbar verknüpft mit der Frage der Wissenschaftstheorie sind Fragen der wissenschaftlichen Praxis, also des Eingreifens. Hacking konzentriert sich bei seiner Darstellung in zweiten Teil auf einige paradigmatische Probleme wie die des "Sehens", des Messens oder der Beobachtung und behandelt diese anhand genauer historiografischer Darstellung. Immer wieder gelingt es ihm hierbei, "die großen Männer" der Wissenschaftsforschung historischer Fehler zu überführen; dadurch werden zugleich verzerrte Darstellungen wissenschaftlicher Tätigkeit und unhaltbare theoretische Postulate über Wissenschaft überzeugend kritisiert.
Während des ganzen Textes vertritt Hacking klar und durch Argumente gestützte seine eigene Form des wissenschaftlichen Realismus, die er in folgendem Satz konzentriert: "Was mich betrifft, gilt: Wenn man sie versprühen kann, sind sie real." (47)
Die deutsche Übersetzung ist weitestgehend als gelungen zu bezeichnen. Über die Frage, ob man "representing" mit "darstellen" angemessen wiedergibt, ließe sich sicher vortreffllich streiten, ansonsten gibt es jedoch kaum Grund zur Kritik. Auch das Lektorat und der Satz sind lobend hervorzuheben, vor allem angesichts des unschlagbaren Reclam-Preises von 9,60 Euro.
Nach all diesem Lob noch ein paar kleine Kritikpunkte: Jenseits der sprachlichen Brillianz des Textes, drängte sich mir an vielen Stellen der Wunsch nach Abbildungen auf. Nicht, dass man die Modelle, Beispiele etc. nicht auch ohne Visualisierung verstehen könnte, aber gerade in einem Einführungsbuch wäre es eine schöne Erweiterung gewesen. Eine wertvolle Zugabe, die Hacking liefert, ist die schoene, kommentierte Bibliografie am Ende des Bandes. Diese ist kapitelbezogen sortiert und ziemlich knapp gehalten , was ich eher fuer einen Vorteil halte. An dieser Stelle noch ein Hinweis für alle Latourianer: Wer auf einen Verweis Hackings auf Bruno Latour und die Actor-Network Theory wartet, muss sich sehr lange gedulden: Erst auf der letzten Seite der Bibliografie findet sich ein Hinweis auf dessen Arbeiten, allerdings ohne Erklärung, warum dieser im restlichen Buch unter den Tisch gefallen ist.
Ian Hacking. Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Stuttgart: Reclam, 1996. 477 Seiten, 9,60 Euro.
(Originalausgabe: Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Natural Science. Cambridge: Cambridge University Press, 1983.)
1 comment:
Hi nice reading yourr blog
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